SAH veröffentlicht Positionspapier zu Grundkompetenzen in der Schweiz

Das Fehlen von Grundkompetenzen beeinträchtigt die beruflichen und privaten Herausforderungen hunderttausender Menschen in der Schweiz. In einem neuen Positionspapier geht das SAH Schweiz auf diese Problematik ein und formuliert vierzehn Lösungsansätze.

Ein Formular ausfüllen, eine Zugverbindung auf der SBB-App finden oder einen Rabatt für ein neues Kleid im Laden ausrechnen: Als Grundkompetenzen gelten Basiskenntnisse und -fähigkeiten wie Lesen, Schreiben, mündlicher Ausdruck in einer Landessprache, Rechnen und grundlegende Anwendungskompetenzen im Bereich Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT), welche dazu dienen, sich im Alltag und im Beruf zurechtzufinden und am sozialen, politischen, kulturellen und beruflichen Leben teilnehmen zu können. Dazu kommen Schlüsselkompetenzen wie Methoden-, Selbst- und Sozialkompetenzen.

Die Anforderungen im Alltag und im Beruf haben sich stark gewandelt und erhöht. Besonders die digitalen Veränderungen erfordern, sich stetig anzupassen und weiterzubilden. Lebenslanges Lernen ist eine zwingende Selbstverständlichkeit geworden, um im Arbeitsmarkt zu bestehen und den Alltag zu meistern.

In den letzten Jahren konnte die Anzahl Personen mit ungenügenden Grundkompetenzen in der Schweiz nicht merklich reduziert werden. Den Grund dafür sehen zuständige Stellen darin, dass die Angebote noch zu wenig bekannt sind.

Die Stärke der Schweiz ist es, qualifizierte Arbeitskräfte hervorzubringen, daher konzentrieren sich Bildungsangebote auf Fachkompetenzen und berufsspezifisches Wissen. Wer jedoch nach der obligatorischen Schulzeit im Schreiben, Lesen oder Rechnen über fehlende Kenntnisse verfügt, hat später Mühe, diese Lücken zu schliessen. Bildungsangebote und die Finanzierung für entsprechende Weiterbildungen gibt es weiterhin zu wenig.

Eine häufige Folge ungenügender Grundkompetenzen ist eine schlechte Integration in die Gesellschaft und Wirtschaft, was das Risiko von Jobverlust und Arbeitslosigkeit und der damit einhergehenden Sozialhilfeabhängigkeit erhöht.

Dies gilt auch an Arbeitsplätzen mit einem einfachen Anforderungsprofil. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse werden mangels Alternativen gefördert und ebenso eine längere Arbeitslosigkeit: Personen mit schlechten Qualifikationen können schlechter die Stelle wechseln, angemesseneren Lohn einfordern oder bei Stellenlosigkeit eine neue Anstellung finden.

Die sogenannte Weiterbildungsoffensive (WBO) des Schweizerischen Verbandes für Weiterbildung (SVEB) und der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) sieht seit Ende 2019 vor, Sozialhilfebeziehende in der beruflichen, sozialen und persönlichen Entwicklung sowie der Alltagsbewältigung zu unterstützen. Viele Kantone bemühen sich, die unbefriedigende Situation zu ändern und haben Massnahmen getroffen, etwa mit der Einführung von Weiterbildungsgutscheinen, Lernstuben und diversen angepassten Kursangeboten. Auch die Sozialdienste ermöglichen die Finanzierung von Kursen deutlich öfter als früher.

Geringe Grundkompetenzen schaffen oft Leidensdruck bei Betroffenen und damit ein erhöhtes Risiko von Krankheit und Armut. Fast 30 % der Sozialhilfebeziehenden weisen mangelnde Grundkompetenzen aus. Diese Ausgangslage erschwert die Bestrebungen, die Sozialhilfebeziehenden so rasch als möglich in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Somit haben tiefe Grundkompetenzen auch gesamtgesellschaftlich und volkswirtschaftlich negative Auswirkungen und sind mit hohen Kosten verbunden. Schätzungen gehen von 1,3 Milliarden Franken pro Jahr aus.

Die Förderung der allgemeinen Grundkompetenzen soll über die Arbeitslosenversicherung finanziert und von Bund sowie Kantonen explizit unterstützt werden. Eine systematische Abklärung der individuellen Lage und der Eigenmotivation von Betroffenen und eine entsprechende koordinierte Vorgehensweise aller Akteure sind zentral, was heute noch nicht ausreichend der Fall ist.

Derzeit ist das Schweizer Bildungssystem für gering Qualifizierte zu geschlossen und zu wenig anschlussfähig. Zudem gilt: Je älter jemand ist, desto schwieriger wird es, offene Bildungswege zu finden, denn das bestehende Stipendienwesen sieht Altersgrenzen vor. Das SAH setzt sich dafür ein, diese abzuschaffen, und Stipendien für alle vorzusehen, welche eine Weiterbildung abschliessen möchten und können.

In Zukunft werden hohe Grundkompetenzen, soziale und emotionale Intelligenz, Kreativität, flexible Lösungskompetenz und solide IKT-Kenntnisse höher gewichtet werden als konventionelle berufliche Qualifikationen, welche zunehmend Maschinen oder digitalisierte und automatisierte Herstellungsprozesse übernehmen können.

Das SAH fordert die Umsetzung folgender Massnahmen:

  1. Für Arbeitslose und Sozialhilfebeziehende: Vermehrte Investitionen in die Grundkompetenzförderung und berufliche Qualifizierung. Niederschwellige Angebote fördern, um die Teilnahme zu erleichtern. Im Vordergrund sollen dabei das individuelle Potenzial und die Motivation stehen.

  2. Förderung der Schlüsselkompetenzen (Methoden-, Selbst- und Sozialkompetenzen) sowie die Technik des «Lernen lernen».

  3. Aufeinander abgestimmte und miteinander vernetzte Unterstützungsangebote auf allen Bildungsstufen, d.h. zwischen allen Akteuren der Primarschule, der Berufsbildung und der Tertiärbildung.

  4. Das SAH schlägt vor, um Arbeitslosigkeit langfristig vorzubeugen, Aus- und Weiterbildungen vereinfacht über die ALV zu bezahlen (wie dies bereits bei der IV der Fall ist). Derzeit werden nur etwa 3 % der Stellensuchenden auf die Möglichkeit verwiesen, sich weiterzubilden.

  5. Weiterführen der Bildungsoffensive «Einfach besser am Arbeitsplatz!». Zugang für KMUs erleichtern. Administrative Hürden abschaffen. Niederschwellige Bildungsangebote in Betrieben gezielt fördern. Gezieltes Aufmerksam machen in den Betrieben, damit Arbeitnehmende teilnehmen können.

  6. Die aktuellen Unterstützungsangebote für Grundkompetenzen ausbauen, insbesondere in kleineren und mittleren Gemeinden.

  7. Anpassung und Gestaltung der Programme unter Berücksichtigung der Merkmale von Erwachsenen mit geringen Grundkompetenzen. Dazu gehören namentlich Mütter und deren zeitlichen Einschränkungen sowie der Bedarf an Kinderbetreuung.

  8. Fördern von Weiterbildungen für ältere Personen, keine Altersgrenzen für Stipendien.

  9. Anerkennung, Validierung und Zertifizierung von Ausbildungen auch unterhalb des bestehenden eidgenössischen Niveaus (EFZ oder EB). Erprobt sind beispielsweise der SRK Pflegehelferkurs, der Riesco-Lehrgang und weitere bedarfsgerechte Bildungsangebote für Erwachsene.

  10. Vorbereitungskurse im Bereich Grundkompetenzen, Vorlehren, bewährte Spezialprogramme wie FORMAD im Kanton Waadt und Enter im Kanton Basel-Stadt.

  11. Ein digitaler Kompetenzrahmen, welcher die Mindestanforderungen in den IKT klar festlegt. Beispielsweise das Verfassen von Texten, Schreiben von Emails, Ausfüllen von Online-Formularen, Bearbeitung von Bildern, Online-Suche usw.

  12. Gezielte finanzielle Unterstützung von armutsgefährdeten oder betroffenen Personen für Chancengleichheit: Kompensation von Einkommensausfällen, Existenzsicherung während der Bildungsmassnahme. Gleichzeitig auch die Finanzierung von Infrastruktur, wie Computer oder Internet-Zugang, um die IKT-Fähigkeiten zu verbessern.

  13. Die Beratung zu Grundkompetenzen im Auftrag der Beratungsstellen integrieren (z.B. im Leitbild verankern). Wichtig sind persönliche Beratung und auch aufsuchende Aktivitäten, um einen individuellen Bildungsplan mit den Betroffenen zusammen auszuarbeiten. Die systematische Sensibilisierung der entsprechenden Dienststellen und Mitarbeitenden für die Thematik der lückenhaften Grundkompetenzen, so dass diese aktiv angegangen wird.

  14. Die Sichtbarkeit der Problematik und der Chancen soll durch regelmässige gesamtschweizerische Kampagnen, die der Bund im Wesentlichen finanziert, erhöht werden, wie beispielsweise die nationale Kampagne „Einfach besser!“.

Lesen Sie hier die vollständige Version des Positionspapiers.